Haftung für die Verletzung von Verfahrensgarantien nach Art. 41 EMRK. Zur Herausbildung europäischer Haftungsmaßstäbe

Summary: Compensation for violation of procedural rights under the European Convention on Human Rights

by Gerhard Dannemann*

(2001) Oxford U Comparative L Forum 5 at ouclf.law.ox.ac.uk | How to cite this article
(Originally published in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Vol. 63 (1999), pp. 452-470)

Summary: Compensation for violation of procedural rights under the ECHR

The European Convention on Human Rights and Fundamental Freedoms guarantees procedural rights notably in Art. 5 and 6. In addition, violations of domestic procedural law guarantees can entail a violation of the Convention where an encroachment of its substantive rights is permitted only in accordance with domestic law. Finally, substantive Convention rights such as Art. 8 on private life can lead to specific procedural rights (e.g. in the Gaskin case). Compensation for the violation of any such rights which is due under Art. 41 ECHR will depend on how the violation of a procedural right affects the outcome of a given case.

I. Causation in Fact

It is argued (and supported by cases such as Barberà, Messegué and Jarbado) that there is a causal link between every violation of a procedural right and the outcome of the proceedings in which this right was violated. Therefore, the – normally insoluable – question of how the domestic proceedings would have ended had the applicant’s procedural rights been observed is not a question of factual causation or the “but for” test. It is either a question of remoteness (causation in law) in the wider sense, or else of assessment of damages (loss of a chance).

II. Hypothetical Causes

Hypothetical causes are not factually linked to the loss on a “but for” basis, but would have lead to the same loss had the injury not occurred. The Court has occasionally taken hypothetical causes into consideration, e.g. in Martins Moreira, where the applicant’s loss was clearly caused by the length of proceedings, but a similar loss might have arisen even if proceedings had not violated Art. 6 ECHR. It is argued on a comparative basis that hypothetic causes can defeat a compensation claim only if (a) they are proven by the tortfeasor, (b) neither tortfeasor nor a third party are liable for the hypothetical cause, and (c) taking them into account does not undermine the procedural right which has been violated.

III. Lawful Conduct of the Tortfeasor as a Hypothetical Cause

Can a state which has violated a procedural right defeat a claim for compensation on the ground that the state could have caused the same loss in a lawful way, i.e. by observing all procedural guarantees? The Court often seems to presume that this is a defence on which a tortfeasor can indeed rely. Based on a comparative survey, the author argues that this defence should not be admitted if an applicant has been completely deprived of a procedure in which (s)he could present his or her views and thus influence the outcome of the decision, and in particular if the right of a detained person to be brought promptly before a judge under Art. 5 subs. 3 ECHR has been violated. Therefore, there should be full compensation for unlawful detention even if a judge might have confirmed the legality of the arrest.

IV. Compensation for Loss of a Chance

The violation of other procedural rules should lead to an award for loss of a chance if these rules were designed to protect the applicant. Damages should be awarded to correspond to the loss which the applicant suffered by the outcome of the proceedings, in proportion to the applicant’s chance of winning the case had the procedural rights of the applicant been observed. The Court, however, has consistently refused to assess this chance. It has occasionally given high awards in cases where the applicant stood a small chance of a more favourable outcome (e.g., Bönisch and Weeks), and refused any award where there very clear indiations that the violation of the applicant’s procedural rights have lead to a more unfavourable outcome ((F.C.B. , Pham Hoang, Bricmont). More particularly, the author criticizes, from a comparative viewpoint, that the Court considers an award for loss of a chance only in one out of every four cases of violations of procedural rights.

I. Einführung

Für die haftungsrechtlichen Folgen einer Verletzung von Verfahrensrechten ist die Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs nach Art. 41 EMRK von besonderem Interesse1. Es gibt wohl weltweit kein anderes Gericht, von dessen Haftungsurteilen mehr als die Hälfte die Verletzung von Verfahrensvorschriften betreffen. Ebenso relevant ist aber auch das einschlägige Recht der EMRK-Mitgliedstaaten, die sich oft schon länger und intensiver mit schwierigen haftungsrechtlichen Fragen auseinandergesetzt haben. Idealerweise gibt es hier eine Wechselwirkung zwischen nationaler und europäischer Rechtspraxis. Man sollte allerdings gleich hinzufügen, daß im Fall der Haftung für EMRK-Verletzungen an diesem Ideal noch vieles fehlt. In der Straßburger Praxis sind hierfür besonders zwei Faktoren verantwortlich:
Erstens haben die Haftungsfolgen einer Menschenrechtsverletzung in Straßburg eine vergleichsweise geringe Priorität. Der haftungsrechtlich relevante Sachverhalt wird meist weder ermittelt noch im Urteil wiedergegeben. Denn Tatsachenermittlung fand bisher fast nur in der ersten Phase vor der Kommission statt, und dort wird über die Haftung nicht entschieden2. Es bleibt zu hoffen, daß sich das mit dem zum 1. November 1998 eingeführten einstufigen Verfahren vor einem ständigen Gerichtshof ändern wird. Weiterhin wird die Haftung nach Art. 50 EMRK meist erst ganz am Schluß der letzten Beratung diskutiert, wenn die Richter(innen) schon müde sind; man einigt sich gerne auf eine diffuse Pauschalentschädgigung für materiellen Schaden, immateriellen Schaden und oft auch noch Kosten und Auslagen und deckt damit schwierige haftungsrechtliche Fragen sowie Differenzen im Richterkollegium gleichermaßen zu3.
Zweitens ist gerade die frühere Straßburger Praxis von der großen Besorgnis des Gerichtshofs gekennzeichnet, dem betroffenen Staat nicht zu nahe zu treten. Damals mußte der Gerichtshof ständig um seine Zuständigkeit für die Individualbeschwerde bangen. Haftungsrechtlich hat sich diese Besorgnis unter anderem darin niedergeschlagen, daß der Gerichtshof in ca. drei von vier Fällen behauptet, er könne und dürfe nicht mutmaßen, ob ein Verstoß gegen Verfahrensgarantien einen Einfluß auf das Ergebnis des Verfahrens gehabt hat4.

II. Verfahrensgarantien und EMRK

Ein Verfahren kann in drei unterschiedlichen Weisen gegen die EMRK verstoßen. Erstens enthält die EMRK mehrere Verfahrensgrundrechte. Zweitens bewirkt der Gesetzesvorbehalt in einigen materiellen EMRK-Grundrechten, daß die Nichteinhaltung nationaler Verfahrensvorschriften zugleich einen EMRK-Verstoß beinhaltet. Und schließlich können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch materielle Grundrechte Auswirkungen auf das Verfahren haben.

1. Verfahrensgarantien in der EMRK

Die meisten Verfahrensgrundrechte sind in Art. 6 EMRK enthalten. Absatz 1 garantiert insbesondere das Recht auf ein Gerichtsverfahren in Zivil- und Strafsachen, das Recht auf ein faires Verfahren, auf ein öffentliches Verfahren, auf eine angemessene Verfahrensdauer und auf Entscheidung durch ein unabhängiges und überparteiliches Gericht5. Absatz 2 enthält die Unschuldsvermutung für Strafverfahren, und Absatz 3 garantiert eine Anzahl von Grundrechten in der Verteidigung6.
Weiterhin enthält Art. 5 EMRK besondere Verfahrensrechte bei Freiheitsentziehung, insbesondere das Recht auf unverzügliche Vorführung vor den Haftrichter (Abs. 3) sowie das Recht auf ein besonderes Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft (Abs. 4)7.

2. Nationale Verfahrensrechte und Gesetzesvorbehalt

Mit einem Gesetzesvorbehalt ausgestattet sind die EMRK-Grundrechte auf auf Freiheit (Art. 5 Abs. 1), auf Achtung der Privatsphäre (Art. 8), Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9), freie Meinungsäußerung (Art. 10) und Versammlungsfreiheit (Art. 11). Das gleiche gilt für den Schutz vor Enteignung (Art. 1 1. Zusatzprotokoll [ZP]) und das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl des Wohnsitzes innerhalb jedes Landes, in dem man sich rechtmäßig aufhält (Art. 2 4. ZP). Sobald ein Eingriff in ein solches Recht gegen innerstaatliches Recht verstößt, verletzt er zugleich die genannten materiellen Grundrechte. Damit kann ein Verstoß gegen innerstaatliche Verfahrensvorschriften eine Haftung des Staates nach Art. 41 EMRK auslösen.

3. Verfahrenswirkung materieller EMRK-Grundrechte

Schließlich können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Straßburg auch materielle Grundrechte Verfahrenswirkung haben. Beispielsweise war im Fall Gaskin dem Beschwerdeführer die Einsicht in seine frühere Vormundschaftsakte verweigert worden, sofern die Informanten nicht ausdrücklich zugestimmt hatten. Der Gerichtshof befand, Art. 8 (d.h. das materielle Grundrecht auf Privatleben) gebiete, daß ein unabhängiges Organ das Anliegen des Beschwerdeführers hätte prüfen und seine mit den Interessen der Informanten abwägen müssen8. Haftungsrechtlich unterscheidet sich ein solcher EMRK-Verstoß kaum von einer Verletzung des Rechts auf ein Gerichtsverfahren nach Art. 6 I EMRK.

III. Kausalität zwischen Verfahrensgarantie und Verfahrensausgang

Wer ein innerstaatliches Verfahren gewinnt, dem fehlt meist die Motivation, anschließend den langen Gang nach Straßburg einzuschlagen und sich dort über dieses Verfahren zu beschweren9. Die meisten Beschwerdeführer in Straßburg sind also die Verlierer: enttäuschte Kläger und verurteilte Beklagte oder Angeklagte. Was ihnen meist an liebsten wäre, nämlich die Aufhebung des innerstaatlichen Urteils, bekommen sie in Straßburg grundsätzlich nicht10. Also verlangen sie Entschädigung für den ungünstigen Ausgang des Verfahrens und behaupten, dieser Ausgang beruhe auf der vom Gerichtshof festgestellten Verletzung von Verfahrensrechten.
Diese Kausalität des Verfahrensfehlers für den Verfahrensausgang ist wohl das schwierigste Haftungsproblem im Bereich von Art. 41 EMRK. Denn diese Frage “Kausalität” läßt sich auf mindestens vier verschiedenen Ebenen ansiedeln.
Die erste und grundsätzlichste Ebene ist die der tatsächlichen Ursache. Ist die vom Gerichtshof festgestellte Verfahrensfehler eine conditio sine qua non für das Ergebnis des Verfahrens? Die zweite betrifft die sogenannte Reserveursache oder hypothetische Kausalität. Die dritte ist der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Die vierte Ursache ist die Schadensbemessung und hier insbesondere die Entschädigung für entgangene Chancen.
Wollen wir mit der tatsächlichen Kausalität beginnen. In dem Fall Barberà, Messegué and Jarbado beruhten die gegen die Beschwerdeführer verhängten Haftstrafen auf einem Strafverfahren, in dem die Verteidigung gravierend und konventionswidrig eingeschränkt worden war. Hier führte der Gerichtshof zur Kausalität zwischen Konventionsverletzung und Haftstrafe folgendes aus:

“In any event, they suffered a real loss of opportunity to defend themselves in accordance with the requirements of Article 6 and thereby to secure a more favourable outcome. There was thus, in the opinion of the Court, a clear causal connection between the damage claimed by the applicants and the violation of the Convention”11.

Der Schaden, den die verletzte Partei durch den ungünstigen Verfahrensausgang erleidet, ist also tatsächlich durch ein nicht den Anforderungen der EMRK genügendes Verfahren verursacht. Die sich anschließende Frage, wie das Verfahren bei Beachtung der EMRK ausgegangen wäre, betrifft dementsprechend nicht die tatsächliche Ursächlichkeit, sondern je nach Sachlage die Bewertung hypothetischer Ursachen, rechtmäßigen Alternativverhaltens oder, im Regelfall, einfach nur die Schadensbemessung.
Sicher lassen sich Kausalität und Schadensbemessung nicht immer klar voneinander abgrenzen. Siedelt man aber das vorliegende Problem bei der tatsächlichen Ursächlichkeit an, müßte man bei normaler Verteilung der Beweislast davon ausgehen, daß ein menschenrechtswidriges Verfahren stets dasselbe Ergebnis hat wie ein menschenrechtskonformes. Eine solche Vermutung, die sich zudem nur ganz selten zweifelsfrei widerlegen ließe, scheint mir aber mit dem effektiven Schutz der in der EMRK garantierten Rechte nicht vereinbar. Die Verfahrensrechte der EMRK sollen gerade garantieren, daß die Betroffenen ihre Standpunkte und Einwendungen vorbringen können und ihr Anliegen in einem fairen Gerichtsverfahren entschieden wird. Ihr Zweck besteht gerade darin, das Ergebnis zu beeinflussen12. Wenn man schon eine Vermutung aufstellen muß, dann sollte man umgekehrt davon ausgehen, daß eine Verletzung von Verfahrensrechten sich auf das Ergebnis eines Verfahrens niederschlägt.
Die zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofs könnte in diesem Punkt als Vorbild für europäische Haftungsrechte dienen, wenn sie nur einheitlich wäre. Zwar hat der Gerichtshof die oben skizzierte Auffasung vereinzelt bestätigt13, lehnt aber in den meisten vergleichbaren Fällen jeglichen kausalen Zusammenhang ab14.

IV. Hypothetische oder Reserveursachen

Koziol faßt das Problem der hypothetischen Ursache in folgender Frage zusammen: “Kann derjenige, der den Erfolg real verursacht hat, sich von seiner Schadenersatzpflicht durch den Hinweis befreien, daß ein anderes Ereignis denselben Schaden herbeigeführt hätte und seine Handlung daher nicht kausal für den Schaden war?”15 Diese Frage wird unter den – synonym gebrauchten – Begriffen der hypothetischen Ursache, der Reserveursache oder der überholenden Kausalität erörtert.
Nehmen wir als Beispiel den Straßburger Fall Martins Moreira. Er betraf – selten genug – einen siegreichen Kläger. Dem nützte aber das in einem überlangen portugiesischen Zivilverfahren erstrittene Urteil wenig. Denn kurz nach dessen Rechtskraft ging die Schuldnerin in Konkurs. Wäre das Urteil rechtzeitig ergangen, hätte der Beschwerdeführer noch die Einzelzwangsvollstreckung betreiben können. Streitig war nun, ob die Schuldnerin auch vorher schon so wenig solvent war, daß die Einzelvollstreckung ebenfalls nicht zur vollständigen Befriedigung geführt hätte. Der Gerichtshof entschied diese Frage nicht. Er sprach nur einen Teil der ausgefallenen Forderung zu und deklarierte dies als Ersatz für die entgangene Chance, bei einem schnelleren Prozeß noch an das Geld zu kommen16.
Man könnte die hypothetische Ursache für eine Frage der tatsächlichen Ursächlichkeit halten: Der eingetretene Erfolg wäre auch bei Hinwegdenken der vom Schädiger gesetzten Bedingung eingetreten, nämlich durch die hypothetische, tatsächlich aber nicht zum Tragen gekommene Ursache. Meistens wäre dann aber nicht derselbe Erfolg eingetreten, sondern nur ein ähnlicher, wie auch der Fall Martins Moreira verdeutlicht. In jedem Fall sollte anerkannt werden, daß die vom Schädiger gesetzte Bedingung (hier: die Verfahrensverzögerung) die tatsächliche Ursache für den eingetretenen Schaden (hier: der Ausfall der Forderung im Konkurs) ist17.
An anderer Stelle habe ich mich ausführlicher mit dem Problem der hypothetischen Ursache beim Schadensersatz nach Art. 41 EMRK beschäftigt18. Im wesentlichen würde ich mich mit einem beachtlichen Teil von Literatur und Rechtsprechung in dieser Frage von Caemmerer anschließen19:
Nach von Caemmerersind hypothetische Ursachen grundsätzlich beachtlich, aber nur unter drei Voraussetzungen:
Erstens sind nur solche hypothetischen Ursachen zu berücksichtigen, die mit Sicherheit den gleichen Schaden herbeigeführt hätten20. Die Beweislast für hypothetische Ursachen trägt somit – wie auch in den nationalen Rechtsordnungen weitgehend anerkannt ist21 – der Schädiger, d.h. bei Art. 41 EMRK der haftende Staat22. Diesen Beweis konnte Portugal im Fall Martins Moreira nicht erbringen, und deswegen hätte der Beschwerdeführer meines Erachtens für den ganzen Konkursausfall entschädigt werden sollen. Hier könnte also der Gerichtshof von den nationalen Haftungsrechten lernen23.
Zweitens dürfen nur solche Reserveursachen berücksichtigt werden, für die niemand sonst haften würde, d.h. weder der Schädiger noch Dritte. Sonst käme man zu dem sinnwidrigen Ergebnis, daß ein Opfer alleine deshalb unentschädigt bleibt, weil ihm gleich zweimal Unrecht widerfahren ist24.
Drittens muß die Berücksichtigung der hypothetischen Ursache mit der Zweck der verletzten Schutznorm zu vereinbaren sein25. Diesen Grundsatz wendet beispielsweise der österreichische OGH auch auf Verletzungen von EMRK-Verfahrensrechten an und prüft dabei – in ausdrücklicher Anlehnung an Koziol – ob die verletzte Norm wegen ihrer Sanktions- und Präventionsfunktion “die Herbeiführung von Schäden in bestimmter Weise auf jeden Fall verhindern” will26.

V. Rechtmäßiges Alternativverhalten

Rechtmäßiges Alternativverhalten bedeutet: Der Haftende hätte durchaus das Recht gehabt, das Opfer zu schädigen. Er hat aber die rechtlichen Voraussetzungen nicht beachtet und damit rechtswidrig gehandelt. Hier ist nicht daran zu zweifeln, daß das rechtswidrige Verhalten des Schädigers die tatsächliche Ursache für den eingetretenen Schaden war. Es handelt sich also wiederum um ein Problem der normativen Schadenszurechnung27. Worum es dabei geht, soll folgender, vom österreichischen OGH entschiedener Fall verdeutlichen28:
Der Kläger stand unter dem Verdacht, Urheber einer Bombendrohung gegen ein Kaufhaus zu sein. Er wurde von Gendarmen verhaftet und einen Tag im Arrestlokal festgehalten. Der österreichische Verfassungsgerichtshof stellte fest, daß diese Freiheitsberaubung illegal war. Denn die Gendarmen hatte nicht den gesetzlich vorgeschriebenen richterlichen Haftbefehl erwirkt. Der Betroffene erhob anschließend Amtshaftungsklage. Er war von Beruf Gärtner und trug vor, er habe während der Haft die Gendarmen darauf hingewiesen, daß er nachts die Heizung seines Glashauses zweimal kontrollieren müsse. Die Beamten hätten ihm das nicht gestattet. Tatsächlich sei in der fraglichen Nacht diese Heizung ausgefallen. Dabei seien Pflanzen im Wert von 200.000 Schilling erfroren.
Dagegen wurde u.a. eingewandt, dieser Schaden wäre auch dann eingetreten, wenn beim zuständigen Richter ein Haftbefehl gegen den Kläger erwirkt worden wäre. Außerdem hätte der Kläger auch den Ausfall der Heizungsanlage nicht rechtzeitig bemerkt, wenn er in Freiheit gewesen wäre.
Dieser letzte Einwand betrifft eine hypothetische Ursache. Folgerichtig bürdete der OGH die Beweislast für diesen Umstand der beklagten Partei auf29.
Blieb noch der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens: Der gleiche Schaden wäre auch eingetreten, wenn die Beamten einen richterlichen Haftbefehl erlangt hätten. Diesen Einwand wies der OGH aber mit folgender Begründung zurück: Art. 5 Abs. 1 ERMK gestatte eine Freiheitsentziehung ausdrücklich “nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg”30:

“Daraus folgt, daß zumindest jene innerstaatlichen Vorschriften, die anordnen, daß der Entzug der Freiheit nur auf Grund eines richterlichen Haftbefehles erfolgen darf, nicht einen bloß formalen Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen bezwecken, sondern die materielle Gewähr dafür bieten wollen, daß das Recht auf Freiheit des einzelnen gesichert wird. … Damit ist dem Inhaftierten die Gewähr gegeben, daß über die Freiheitsentziehung nicht niemand oder nur ein weisungsgebundenes Organ entscheidet, sondern ein von solchen Weisungen freier Richter. Diesem Grundgedanken würde es widersprechen, wenn bei rechtswidriger Verhaftung durch Verwaltungsorgane eine Nachprüfung in der Form erfolgen könnte, der Richter hätte, wäre er nur befragt worden, ohnedies einen Haftbefehl ausgestellt.”31

Dieses Urteil zeigt die enge Verbindung zwischen effektivem Schutz von Grundrechten und der Gewährung von Schadensersatz. Es zeigt, wie das Haftungsrecht Menschenrechte bestärken oder relativieren kann. Hier haben wir ein Beispiel für nationales Haftungsrecht, von dem der Gerichtshof in Straßburg lernen könnte. Vom Gerichtshof in Straßburg hätte der Gärtner relistischerweise nicht mehr erwarten können als vielleicht Ersatz von Chancen in Höhe von 1/4 des Schadens. Die Begründung für solche Entscheidungen erschöpft sich routinemäßig in Floskeln wie “taking all relevant factors into consideration and on an equitable basis”32, wobei der Gerichtshof bisher wenig Hemmungen gezeigt hat, unter solchen relevanten Faktoren unbewiesene hypothetische Ursachen sowie unerhebliches rechtmäßiges Alternativverhalten zu zählen.

1. Mögliche Anwendungsfälle

Wenn wir die möglichen Anwendungsfälle für den Einwand des rechtsmäßigen Alternativverhaltens untersuchen wollen, bietet es sich an, wie oben II. nach der Art des verletzten Verfahrensrechts zu unterscheiden.
Er kommt zunächst in Betracht bei den materiellen EMRK-Rechten, die mit einem Gesetzesvorbehalt ausgestattet sind und ist dort immer dann möglich, wenn ein Eingriff nach EMRK und nationalem Recht an sich zulässig wäre, aber die rechtlichen Voraussetzungen (insbesondere das dafür vorgesehene Verfahren) nicht beachtet wurden. Hier muß also der vom Gerichtshof festgestellte Verstoß gegen die EMRK darin bestehen, daß der Eingriff in das betreffende Grundrecht nicht auf die gesetzlich oder von der EMRK vorgeschriebene Weise erfolgt ist.
Ein ähnlicher Einwand ist vor dem Gerichtshof aber auch oft bei der Verletzung von den in der EMRK selbst garantierten Verfahrensrechten (Art. 6 Abs. 1 und 3, Art. 5 Abs. 2 bis 4) erhoben worden: Auch wenn ein Rechtsmittel vorhanden gewesen wäre, das Gericht sich nicht den Anschein der Parteilichkeit gegeben, öffentlich verhandelt oder innerhalb angemessener Frist entschieden hätte, wäre die Entscheidung nicht anders ausgefallen. Um rechtmäßiges Alternativverhalten kann es sich dabei allerdings nur handeln, soweit das Verfahren einen hoheitlichen Eingriff in geschützte Rechtspositionen zum Gegenstand hat. Dagegen betrifft die Frage, ob beispielsweise die überlange Dauer eines zivilen Haftungsprozesses Einfluß auf dessen Ergebnis hatte33, von vornherein nicht rechtmäßiges Alternativverhalten.
Schließlich kann der Einwand auch bei der Verfahrenswirkung materieller Grundrechte erhoben werden wie etwa im Fall Gaskin. Dort ließe sich argumentieren, der Beschwerdeführer hätte auch dann nicht in seine Vormundschaftsakte einsehen dürfen, wenn ein entsprechendes Gerichtsverfahren zur Verfügung gestanden hätte34.

2. Ausfall des vorgesehenen Verfahrens

Wenden wir uns zunächst den Fällen zu, in denen ein von nationalem Recht vorgeschriebenes Verfahren komplett ausgefallen ist wie eben die Erwirkung eines richterlichen Haftbefehls in dem erwähnten österreichischen Fall.35 Hier gibt es eine Reihe vergleichbarer Entscheidungen in einigen anderen nationalen Rechtsordnungen. Folgenden Fall hatte 1921 das Reichsgericht zu entscheiden:
Der Militärfiskus stellte für die Wehrmacht Kompressionsbinden her und verletzte dabei ein Patentrecht der Kläger. Gegen eine Entschädigung für den dadurch entgangenen Gewinn der Kläger wandte er ein, der Reichskanzler hätte nach § 5 Abs. 2 Patentgesetz für diesen Zweck eine Zwangslizenz anordnen können. Das Reichsgericht wies diesen Einwand zurück: Die Heeresverwaltung habe dieses Verfahren nicht betrieben, sondern die Erfindung für das Heer in Benutzung genommen, ohne sich um den Patentschutz zu kümmern36.
Den Grund dafür hat von Caemmerer, auf den namentlich die eingangs erwähnte OGH-Entscheidung Bezug nimmt, wie folgt formuliert:

“Im allgemeinen gilt, daß das einzuhaltende Verfahren dem Schutze des von dem Eingriff Betroffenen dient. Dort muß er seine Einwände und Gegengesichtspunkte auch gegen zu treffende Ermessensentscheidungen geltend machen können. Das darf ihm nicht dadurch entzogen werden, daß das Gericht dann später im Schadensersatzprozeß die Feststellung trifft, der Eingriff hätte auch in rechtmäßiger Weise vorgenommen werden können. Damit würde das Gericht seine eigene Entscheidung an die Stelle der Entscheidung der zuständigen Behörde setzen. Das raubt dem Betroffenen die Möglichkeiten der Verhandlung und Einflußnahme.”37

Freilich soll auch nach von Caemmerer etwas anderes gelten, wenn nach den Umständen des Falls “eine Abwägung des Für und Wider gar nicht mehr in Betracht kam, die zu treffenden Maßnahmen vielmehr praktisch vorgezeichnet waren.”38 Voraussetzung dafür ist, daß das Gericht sich tatsächlich in der Lage sieht, diese Entscheidung an Stelle der zuständigen Behörde oder des zuständigen Gerichts selbst zu treffen. Dazu wird der Straßburger Gerichtshof, falls überhaupt, dann nur in seltenen Ausnahmefällen instande sein. Greift der Staat in die Grundrechte der verletzten Partei ein, ohne das dafür vorgesehene Verfahren zu betreiben, muß er sie deshalb in aller Regel so stellen, als ob der Eingriff unterblieben wäre.
Fraglich ist, inwieweit dies auch für die Verfahren gelten soll, welche die EMRK selbst vorschreibt. Nach Art. 5 Abs. 3 muß bei einer Freiheitsentziehung zum Zweck der Strafverfolgung oder Verhinderung einer Straftat die betroffene Person unverzüglich einem Richter oder einem mit vergleichbaren Kompetenzen ausgestatteten Beamten vorgeführt werden, der über die Freiheitsentziehung entscheidet. Aber auch in anderen von der EMRK gestatteten Fällen von Freiheitsentziehung hat jede betroffene Person ein Recht auf richterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haft (Art. 5 Abs. 4). Ein Recht auf ein gerichtliches Verfahren gibt schließlich noch Art. 6 Abs. 1 für alle Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und in Strafsachen.
Allerdings läßt sich die Verletzung eines derartigen Rechts auf richterliche Entscheidung nicht immer mit dem vollständigen Ausfall eines Verfahrens gleichstellen. Denn in vielen Fällen hat durchaus ein Verfahren stattgefunden, in dem der Betroffene seine Einwendungen und Anliegen vortragen konnte. Was dagegen fehlt, ist die richterliche Überprüfbarkeit dieser Verwaltungsentscheidung39. Wenn aber weder dieses Verwaltungsverfahren noch sein Ergebnis selbst gegen die EMRK verstoßen, so würde man oft einen Beschwerdeführer übermäßig begünstigen, wenn man ihn so stellen würde, als habe der Eingriff nicht stattgefunden. Der Gerichtshof hat dies, soweit mir ersichtlich, auch noch in keinem Fall von Art. 6 Abs. 1 EMRK getan.
Eine differenzierende Betrachtung erfordert allerdings das Recht auf unverzügliche Vorführung vor den Haftrichter bei einer Freiheitsentziehung zum Zweck der Strafverfolgung oder Verhinderung einer Straftat nach Art. 5 Abs. 340. Diese muß, wie Art. 5 Abs. 3 vorschreibt, “unverzüglich” (“prompt”/”aussitôt”) erfolgen. Das läßt erkennen, daß andere staatliche Organe lediglich zu einer vorläufigen Freiheitsentziehung befugt sind und die eigentliche Entscheidung über die Haft von einem Richter bzw. einer mit richterlichen Befugnissen ausgestatteten Person erfolgen muß. Damit schreibt die EMRK für diesen Eingriff in das Menschenrecht auf Freiheit zwingend ein bestimmtes Verfahren vor und gibt nicht nur ein Recht auf richterliche Überprüfung einer von der Exekutive zu treffenden Entscheidung. Meistens befragt man Leute nicht vorher dazu, ob sie Einwände gegen ihre Verhaftung haben. Wenn der Verhaftete protestiert, wird es wohl meistens heißen: “Das können Sie dann alles dem Richter erzählen.” Wer infolge eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 3 EMRK eben nicht das alles dem Richter erzählen konnte, muß auch so gestellt werden, als sei der Eingriff unterblieben. Genauso hat auch der OGH in dem eingangs zitierten Fall entschieden.
Dagegen hat der Gerichtshof in Straßburg bei derartigen Verletzungen von Art. 5 Abs. 3 bisher keine solche Entschädigung zugesprochen41. Auch hier ist die Rechtsprechung allerdings sprunghaft; eine grundlegende Entscheidung vermißt man bisher.

3. Verletzung von sonstigen Schutzvorschriften

Die Beurteilung wird schwieriger, wenn zwar das richtige Verfahren betrieben, dabei aber eine vom nationalen Recht oder der EMRK vorgesehene Verfahrensvorschrift verletzt wurde. Auch derartige Vorschriften können den Ausgang eines Verfahrens erheblich beeinflussen und deren Verletzung eine Haftung auslösen. So gilt im englischen Recht die gesamte Haft als rechtswidrig (und berechtigt zum Schadensersatz wegen “false imprisonment”), wenn der Betroffene nicht unverzüglich über den Grund seiner Verhaftung informiert wird, wie es übrigens auch Art. 5 Abs. 2 EMRK vorschreibt42.
Meist läßt sich aus dem Schutzzweck der übertretenen Norm ableiten, ob deren Verletzung haftungsrechtliche Konsequenzen haben soll. Das kommt namentlich in Betracht, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung unterblieben ist. So geschehen beispielsweise im vom Gerichtshof entschiedenen niederländischen Fall Van der Leer, in dem die Beschwerdeführerin durch gerichtliche Anordnung in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht worden war. Neben Art. 5 Abs. 1 waren dabei auch Art. 5 Abs. 2 (fehlende Unterrichtung über den Grund der Festnahme) und Art. 5 Abs. 4 (Entscheidung über die erhobene Beschwerde erst nach fünf Monaten) verletzt. Leider hat der Gerichtshof in diesem Fall das Problem des rechtlichen Alternativverhaltens gar nicht gesehen. Er hat nicht die Möglichkeit einer anderen Entscheidung für den Fall erörtert, daß die Beschwerdeführerin wie vorgeschrieben angehört worden wäre. Dabei war der verspätet zugelassene Vortrag der Beschwerdeführerin erfolgreich: Die Einweisungsanordnung wurde schließlich aufgehoben. In Straßburg gab es in diesem Fall Ersatz nur für den immateriellen Schaden durch die fehlende Anhörung und für die verzögerte Entscheidung über die Beschwerde, und auch der wurde nicht gerade großzügig bemessen43. Nach meiner Ansicht kommt der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung eine so zentrale Bedeutung bei der Sicherung des Grundrechts auf Freiheit zu, daß der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ausscheidet. Man hätte deshalb in diesem Fall der Beschwerdeführerin eine Entschädigung für die Freiheitsentziehung selbst zubilligen sollen.
In vielen anderen Fällen ist dagegen auch dann, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dem Schutz der Betroffenen dient, oft fraglich, ob man das Opfer schadensrechtlich so stellen sollte, als sei der Eingriff überhaupt unterblieben. Der materiellen Gerechtigkeit ist nicht damit gedient, daß ein zu einer Freiheitsstrafe Verurteilter volle Haftentschädigung allein deswegen erhält, weil bei der Urteilsverkündung die Öffentlichkeit konventionswidrig ausgeschlossen wurde. Andererseits kann man auch schlecht eine Haftentschädigung ablehnen, wenn das Urteil maßgeblich auf Zeugenaussagen beruht, die das Gericht nach den Vorschriften der EMRK nicht hätte verwerten dürfen44.
Deshalb erscheint mir folgende Lösung vorzugswürdig: Wird durch die Verletzung einer Vorschrift die Schutzfunktion des vorgeschriebenen Verfahrens insgesamt oder doch zumindest weitgehend ausgeschaltet, sollte das die gleichen Konsequenzen haben wie die vollständige Nichtbeachtung dieses Verfahrens: Die gesamten Folgen dieses Eingriffs sind zu ersetzen. Bei einem Verstoß gegen sonstige Schutzvorschriften sollte dagegen die verletzte Partei für die entgangene Chance entschädigt werden, bei Beachtung dieser Vorschriften eine ihr günstigere Entscheidung erreicht zu haben. Maßstab ist dabei die Wahrscheinlichkeit einer derartigen Entscheidung. Einzelheiten werden noch weiter unten erörtert.

4. Verletzung anderer Vorschriften

Dient die verletzte Vorschrift dagegen nicht dem Schutz des Betroffenen, wird auch nicht für den Ausgang des Verfahrens entschädigt. In solchen Fällen legt der Gerichtshof stillschweigend oder ausdrücklich dem Betroffenen die Beweislast dafür auf, daß bei Beachtung der Vorschrift ein anderes Ergebnis eingetreten wäre45. Zum gleichen Ergebnis kommt man in der Regel auch mit der Lehre vom Schutzzweck der Norm46.

VI. Der Ausgang eines Verfahrens als entgangene Chance

Die Frage, wie ein Verfahren bei Beachtung der EMRK ausgegangen wäre, läßt sich schließlich noch als ein Problem der Schadensbemessung begreifen. Hierzu dient vor allem der Ersatz für entgangene Chancen. Der Beschwerdeführer wird dabei nicht für den ungünstigen Ausgang eines Verfahrens voll entschädigt, sondern nur teilweise für die entgangene Chance, bei Beachtung der EMRK einen günstigeren Ausgang erzielt zu haben. Dieser Ersatz für entgangene Chancen ist das wichtigste haftungsrechtliche Instrument, das der Gerichtshof im Bemühen um einen effektiven Menschenrechtsschutz eingesetzt hat. Er bietet eine Alternative zum Entweder-Oder der Beweislastentscheidung in den Fällen, wo es weder angemessen erscheint, jeglichen Ersatz abzulehnen, noch den Beschwerdeführer so zu stellen, als sei die belastende Entscheidung vollständig unterblieben.
Von diesem Instrument hat der Gerichtshof in einer ganzen Reihe von Verfahrensrechts-Fällen Gebrauch gemacht47. Das Lob, welches sich der Gerichtshof damit verdient hat, wird allerdings beträchtlich durch den Umstand geschmälert, daß es für jeden dieser Fälle drei andere vergleichbare gibt, in denen der Gerichtshof Ersatz für entgangene Chancen nicht einmal erwähnt und die Beschwerdeführer entsprechend leer ausgehen48. Eine nähere Analyse ergibt, daß weder die Art der Rechtsverletzung noch die Wahrscheinlichkeit eines anderen Verfahrensausgangs den Ausschlag dafür geben, ob der Gerichtshof für entgangene Chancen entschädigt oder nicht49. In den Fällen Bönisch und Weeks hat der Gerichtshof die Chance auf einen günstigeren Verfahrensausgang als sehr gering bewertet und dennoch großzügig entschädigt50. Anders die F.C.B. und Pham Hoang. Hier waren Angeklagte in einem konventionskonformen erstinstanzlichen Verfahren freigesprochen worden und wurden erst im konventionswidrigen zweitinstanzlichen Verfahren verurteilt. Das deutliche Indiz dafür, daß in diesen Fällen die Konventionsverletzung das Ergebnis beeinträchtigt hat, ist vom Gerichtshof in beiden Fällen ignoriert worden. Er hat Ersatz für entgangene Chancen nicht einmal geprüft, geschweige denn zugesprochen51.
Wie begründet der Gerichtshof diese unterschiedliche Behandlung? Die Antwort läßt sich in zwei Worten zusammenfassen: gar nicht. Die Begründungen für die haftungsrechtlichen Entscheidungen lauten stereotyp wie folgt: Will der Gerichtshof Ersatz zusprechen, findet man in der Begründung, daß ein günstigeres Ergebnis bei Beachtung der verletzten Verfahrensgarantie nicht ausgeschlossen werden kann52. Will er keinen Ersatz zusprechen, zieht er sich darauf zurück, daß er nicht mutmaßen könne, welchen Ausgang das Verfahren bei Beachtung der Garantie gefunden hätte und trifft dann eine Beweislastentscheidung gegen den Geschädigten53. Dieselbe Begründung – Unaufklärbarkeit – wird also in einem Fall benutzt, um Ersatz zuzusprechen, und im nächsten Fall dafür bemüht, um Ersatz abzulehnen.
Das Verdienst des Gerichtshofs in der Entwicklung europäischer Haftungsmaßstäbe beschränkt sich in diesem Bereich leider darauf, daß es so etwas wie Ersatz für entgangene Chancen bei Verfahrensverstößen überhaupt gibt. Immerhin ist dies ein Umstand, der wohl nur in einigen wenigen EMRK-Mitgliedstaaten anerkannt ist, namentlich im belgischen, englischen, französischen, irischen, luxemburgischen und niederländischen54, nicht aber etwa im deutschen oder italienischen Recht55.
Zu begrüßen wäre es, wenn der Gerichtshof sich umgekehrt die folgenden Maßstäbe zu eigen machen könnte, die man übereinstimmend in denjenigen europäischen Rechtsordnungen findet, welche für den Verlust einer entgangenen Chance entschädigen. Darunter zählen vor allem die folgenden vier:
(1) Bei entgangenen Chancen wird der Schaden wie folgt bemessen: Zunächst wird ermittelt, um wieviel günstiger der Geschädigte bei dem von ihm angestrebten Verfahrensausgang stünde. Von diesem Betrag erhält der Geschädigte einen Anteil, welcher der Wahrscheinlichkeit dieses Verfahrensausgangs entspricht56. Bestand also eine hälftige Chance, einen Prozeß über eine Forderung von 1 000 DM zu gewinnen, erhält der Geschädigte 500 DM und einen entsprechenden Anteil der Prozeßkosten. Beides lehnt der Gerichtshof kategorisch ab. Er will nicht den potentiellen Gesamtschaden ermitteln, und er fürchtet, dem haftenden Staat zu nahe zu treten, wenn er eine gewisse Wahrscheinlichkeit eines günstigen Verfahrensausgangs bei Beachtung der EMRK feststellt57.
(2) Ist diese Chance sehr groß, wird nicht nur anteilig entschädigt, sondern voller Ersatz gewährt. Ist die Chance dagegen sehr gering, wird gar keine Entschädigung zugesprochen58. Hierfür lassen sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs einige Beispiele finden59.
(3) Die genannte Schätzung bezieht sich ausschließlich auf die Wahrscheinlichkeit des Verfahrensausgangs. Alle anderen Umstände werden nach den normalen Regeln der Behauptungs- und Beweislast festgestellt60. Auch dieser Grundsatz liegt dem Gerichtshof wenig. Er setzt ganz im Gegenteil den Ersatz für entgangene Chancen gelegentlich auch zur Umgehung von möglicher Tatsachenermittlung und lösbaren Rechtsfragen ein61.
(4) Es steht nicht im richterlichen Belieben, ob überhaupt Ersatz für entgangene Chancen zu gewähren ist. Auch im französischen Recht bleibt dem sonst sehr weiten Ermessen des Tatrichters nur die Feststellung überlassen, ob eine Chance bestand und wie groß sie war. Existierte aber eine derartige Chance, darf das Gericht Schadensersatz nicht mit der Begründung ablehnen, es sei nicht erwiesen, daß die Chance sich verwirklicht hätte, so daß der Schaden nicht “certain” sei. Derartige Urteile hebt die Cour de Cassation auf62. Und dies ist zugleich der wohl ärgerlichste Umstand an der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs, nämlich daß er in drei von vier Fällen, in denen sich Ersatz für entgangene Chancen auf einen günstigeren Verfahrensausgang anbieten würde, eine entsprechende Entschädigung ablehnt und in fast allen dieser Fälle nicht einmal Ersatz für entgangene Chancen diskutiert. Einige dieser Entscheidungen lassen sich wohl damit erklären, daß die entsprechende Chance sehr gering war63. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Chance auf einen günstigeren Ausgang mit den Händen zu greifen war und der Gerichtshof dennoch über die Beweislast Ersatz vollständig abgelehnt hat64

VII. Zusammenfassung

Gibt es europäische Maßstäbe für die Haftungsfolgen bei der Verletzung von Verfahrensrechten? Nach meiner Ansicht lassen sie sich finden. Woran es mangelt, ist der Austausch zwischen dem Gerichtshof in Straßburg und den Gerichten der Mitgliedstaaten. Mal ist es der Gerichtshof in Straßburg, der diese Maßstäbe setzt, mal sind es die nationalen Rechte, die sich einig sind, aber vom Gerichtshof dennoch ignoriert werden. Sucht man nach Erklärungen dafür, warum nationales und Straßburger Haftungsrecht aneinander vorbeireden, so dürfte maßgebliche Bedeutung folgenden Umständen zukommen:
Der Straßburger Gerichtshof kümmert sich wenig um das Haftungsrecht der EMRK-Mitgliedstaaten, weil Haftungsfragen insgesamt nur geringe Priorität eingeräumt wird und der Gerichtshof am liebsten eine schnelle Entscheidung am Ende der Beratung trifft. Charakteristisch dafür ist die Zusammenfassung von immateriellem Schaden, materiellem Schaden sowie Kosten und Auslagen in einer Gesamtschätzung mit einer Begründung, die sich weitgehend in der gebetsmühlenartigen Wiederholung inhaltsleerer Floskeln erschöpft.
Die EMRK-Mitgliedstaaten kümmern sich ihrerseits wenig um das Straßburger Haftungsrecht. An den haftungsrechlichen Entscheidungen des Gerichtshofs bindet die Mitgliedstaaten nur das Ergebnis im Einzelfall, d.h. in aller Regel die Zahlung einer Geldsumme, nicht aber die haftungsrechtlichen Prinzipien, auf denen das Urteil beruht. Hier ist also ein seltener Bereich, in dem die Rechtsprechung aus Straßburg nicht mehr Wirkung entfalten kann als persuasive authority. Diese ist aber nicht besonders stark, wenn die Tatsachen kaum ermittelt und die Urteile fast nicht begründet sind. Das ist schade, weil beispielsweise sehr viele Haftungsrechte davon profitieren könnten, bei Verletzung von Verfahrensrechten Ersatz für entgangene Chancen zuzulassen.

Footnotes

* Dr. jur. (Freiburg i.Br.), MA (Oxon); Fellow, Worcester College, Oxford; Erich Brost University Lecturer in German Civil and Commercial Law, University of Oxford.

1 Abgekürzt werden zitiert: v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität im Schadensersatzrecht (1963); Dannemann, Schadensersatz bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Haftung nach Art. 50 EMRK (1994).

Mit Wirkung zum 1. November 1998 hat Art. 41 EMRK den früheren Art. 50 EMRK als Grundlage staatlicher Haftung für EMRK-Verletzungen ersetzt.

2 Dazu Dannemann S. 63.

3 Dannemann S. 68ff.

4 Z.B. EGMR 27.10.1993, Dombo Beheer B.V. A 274. In einem Zivilprozeß wurde unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 (Fairness) der Vertreter einer, nicht aber der anderen Partei als Zeuge zugelassen. Der Gerichtshof lehnte wie folgt Ersatz materiellen Schadens ab (S. 20f § 40): “The applicant company’s various claims … are based on the assumption that it would have won its case if the national courts had allowed Mr van Reijendam to testify. The Court could not accept this assumption without itself assessing the evidence. The testimony of Mr van Reijendam before the Arnhem Court of Appeal could have resulted in the existence of two opposing statements, one of which would have to be accepted against the other on the basis of supporting evidence. It is not for the European Court of Human Rights to say which should be accepted. This part of the claim for just satisfaction must accordingly be dismissed.” (Hervorhebung von mir.)

5 Hinzu kommt noch das Recht auf Entscheidung durch ein gesetzlich bestimmtes Gericht in Art. 6 I.

6 Hierzu zählen: das Recht des Beschuldigten, in einer ihm verständlichen Sprache über Art und Grund der Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden (Art. 6 III a); auf ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidung (Art. 6 III b); sich selbst zu verteidigen (Art. 6 III c); auf freie Wahl des Verteidigers (Art. 6 III c); auf einen unentgeltlichen Verteidiger, soweit der Beschuldigte bedürftig und die Beiordnung eines Verteidigers im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist (Art. 6 III c); Fragen an Belastungszeugen zu stellen (Art. 6 III d); Entlastungszeugen zu laden und zu vernehmen (Art. 6 II d); auf einen unentgeltlichen Dolmetscher, wenn der Beschuldigte die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht bzw. sich in ihr nicht genügend ausdrücken kann (Art. 6 III e).

7 Hinzu kommen das Recht auf unverzügliche Belehrung in einer dem Beschuldigten verständlichen Sprache über die Gründe der Festnahme und die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen (Art. 5 II) und auf Freilassung – gegebenenfalls gegen Kaution – wenn nicht die erforderliche Aburteilung in angemessener Frist erfolgt (Art. 5 III).

8 EGMR 7.7.1989, Gaskin A 160.

9 Eine Ausnahme bilden hier insbesondere die Beschwerden wegen überlanger Verfahrensdauer, die noch während der Dauer des dann für überlang befundenen Verfahrens angestrengt werden. Ein Beispiel für einen dann schließlich siegreichen Beschwerdeführer ist der Fall EGMR 26.10.1988, Martins Moreira A 143.

10 Dazu Dannemann S. 213ff.

11 EGMR 13.6.1994, Barberà, Messegué and Jabardo (Art. 50), A 285-C, S. 57 § 16.

12 Ähnlich auch der Gerichtshof in EGMR 13.6.1994, Barberà, Messegué and Jabardo, A 285-C S. 57 § 16.

13 EGMR 20.11.1989, Kostovski (merits) A 166 S. 22 § 47f.; 27.9.1990, Windisch (merits) A 186 § 35.

14 So kürzlich wieder in EGMR 19.2.1998, Higgins and others, Rep. 1998-I 44 S. 62 § 48: “The Court cannot speculate as to the outcome of the domestic proceedings if the requirements of Article 6 had been complied with. As no causal link has been established, the claims made under that head must be dismissed”; 23.11.1993, Poitrimol A 277-A S. 16 § 42.

15 Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Band I 2 (1980) 76. In der 3. Auflage 1997 beschränkt Koziol nunmehr die “überholende Kausalität” auf Ereignisse, die später denselben Schaden verursacht hätten (Bd. I S. 122 Rn 3/58).

16 EGMR 26.10.1988, Martins Moreira A 143 S. 22f. § 65; kritisch auch Frowein/Peukert Art. 50 Rn 22 (Peukert).

17 Honoré, Causation and Remoteness of Damage (1969), Int. Encycl. of Comp. Law Vol. XI, 7-126; Lange, Schadensersatz 2 (1990) S. 179.

18 Dannemann S. 170-177.

19 von Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität im Schadensersatzrecht (1962); Honoré (oben N. ) 7-126; Peczenik, Causes and Damages (1979) S. 94; BGH 29.9.1982, NJW 1983, 1053f; im Ergebnis ähnlich auch Koziol (oben N. ) I S. 122ff Rn 3/58ff.

20 von Caemmerer S. 20.

21 Rechtsvergleichend: Honoré (oben N. ) 7-201; Deutschland: Lange (oben N. S. 195f; Stoll, Haftungsverlagerung durch beweisrechtliche Mittel, AcP 176 (1976), 145-196, 174; Österreich: OGH 6.7.1932, ZBl 1932 Nr. 350 S. 934f; OGH 12.7.1981, JBl 1982, 259, 261; Schweden: Urteil eines ungenannten Hovrätt, Färsäkringsjuridiska föreningens rättsfallssammling 1954, 529, zitiert nach Peczenik (oben N. ) S. 67 (selbst zustimmend).

22 Wenn allerdings der Beschwerdeführer in dem Ausgangsverfahren ohnehin die Beweislast für die hypothetische Ursache getragen hätte wie im Fall EGMR 23.4.1987, Lechner and Hess A 118, sollte es bei dieser Beweislast bewenden. Dazu Dannemann S. 174f.

23 Im Fall EGMR 2.12.1987, Bozano (Art. 50) A 124-F S. 47f § 9 hat der Gerichtshof dem Opfer (und nicht dem Schädiger) sogar die gesamte Beweislast für eine hypothetische Ursache aufgebürdet; dazu Dannemann S. 171.

24 von Caemmerer (oben N. ) S. 21; Baker v. Willoughby [1970] A.C. 467 (H.L.); Niederlande: HR 23.6.1989, NJ 1990, 441.

25 von Caemmerer (oben N. ) S. 15. Zustimmend Honoré (oben N. ); ähnlich Peczenik (oben N. ) S. 94.

26 OGH 12.7.1981, JBl 1982, 259, 261.

27 So auch ausdrücklich BGH 24.10.1985, BGHZ 96, 158 (Ls.)

28 OGH 12.7.1981, JBl 1982, 259.

29 OGH 12.7.1981, JBl 1982, 259, 260f.

30 OGH 12.7.1981, JBl 1982, 259, 262. Der österreichische Wortlaut weicht etwas von der bundesdeutschen Übersetzung ab: “nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise”.

31 OGH 12.7.1981, JBl 1982, 259, 262f.

32 Dazu Dannemann S. 71ff, 73.

33 Vgl. EGMR 24.10.1989, H v. France A 162-A.

34 EGMR 7.7.1989, Gaskin A 160.

35 OGH 12.7.1981, JBl 1982, 259.

36 RG 28.9.1921, RGZ 102, 390; vgl. auch BAG 30.10.1958, BAGE 6, 321, 376-378: Ersatzpflicht für die Folgen eines Streiks, der unter Verstoß gegen die Friedenspflicht ausgerufen wurde, obwohl der Streik wenig später legal hätte durchgeführt werden können. Niederlande: HR 6.2.1987 NJ 1988, 926, S. 3199. Dazu Schadevergoeding, hrsg. von A.R. Bloembergen (1992ff; Loseblatt, Stand Oktober 1997) Art. 95 Nr. 51 (Hartflief/tjittes). Eine Gemeinde verfügte die Stillegung einer ohne Genehmigung betriebenen Flüssiggas-Tankstelle, ohne das in Art. 28 a.F. Hinderwet (Immissionsgesetz) vorgeschriebene Verfahren zu beachten, d.h. die Vorlage zur Fachaufsicht an die übergeordnete Behörde. Zwischen den Parteien war streitig, ob für den Betrieb eine Genehmigung erforderlich war. Der Hoge Raad befand, die Vorlagepflicht habe den Zweck, daß überprüft wird, ob die Gemeindeverwaltung zu Recht eine Genehmigungspflicht angenommen hat. Diese von der Gemeinde mißachtete Pflicht schütze das Interesse des Betroffenen an einer Wahrung seiner Belange in dem Verfahren. Da durch den Verstoß der Gemeinde gegen diese Pflicht die Schließung rechtswidrig wurde, könne sich die Gemeinde nicht darauf berufen, daß die Tankstelle nicht ohne Genehmigung hätte betrieben werden dürfen. Somit mußte die Gemeinde den gesamten infolge der Schließung erlittenen Schaden ersetzen.

37 von Caemmerer, Überholende Kausalität, S. 33.

38 von Caemmerer, Überholende Kausalität, S. 33 in Anlehnung an BGH 19.4.1956, BGHZ 20, 275.

39 Z.B. EGMR 9.6.1988, O v. United Kingdom (Art. 50) A 136-A (fehlendes Rechtsmittel gegen vormundschaftliche Anordnungen)); 7.7.1989, Tre Traktörer AB, A 159 (unzureichendes Rechtsmittel gegen Widerruf einer Lizenz zum Ausschank von Alkohol); 28.6.1990, Skärby A 180-B (fehlender Rechtsweg gegen Ablehnung einer Befreiung von Vorschriften eines Bebauungsplans).

40 Davon zu unterscheiden sind Fälle überlanger Untersuchungshaft nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 2. Halbsatz. In diesen Fällen stellt sich gewöhnlich nicht die Frage nach dem rechtmäßigen Alternativverhalten. Wird die überlange Untersuchungshaft nicht auf eine später verhängte Freiheitsstrafe angerechnet, ist für den Teil der Haft zu entschädigen, der eine angemessene Zeit überschritten hat. Ähnlich wohl auch EGMR 27.8.1992, Tomasi A 241-A S. 45 § 130.

41 EGMR 22.5.1984, de Jong, Baljet and van den Brink A 77 S. 29 § 65: Entschädigt wurde nur für den Verlust der Chance, bei Beachtung von Art. 5 Abs. 3 früher freigelassen worden zu sein. Offengelassen wurde die Frage im Urteil vom 30.5.1989, Brogan and others (Art. 50) A 152-B S. 44f. § 9; der Gerichtshof lehnte dort eine Entschädigung ab. Anders als hier Frowein/Peukert (oben N. ) Art. 50 Rn 23: “Bei Anordnung von U-Haft durch eine nach innerstaatlichem Recht zuständige Amtsperson, die vom GH nicht als “gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen” i.S. von Art. 5 Abs. 3 angesehen wurde, wird in der Regel davon auszugehen sein, daß die Haft auch von einem Richter angeordnet worden wäre.”

42 Christie and another v Leachinsky [1947] A.C. 573, jetzt Section 28 des Police and Criminal Evidence Act 1984. Vgl. auch OGH 15.11.1989, JBl 1990, 456f: Die Zustimmung eines ausliefernden Staates zur Vollstreckung einer weiteren Strafe war zwar erteilt, aber neun Monate zu spät eingeholt worden. Der OGH sprach eine volle Haftentschädigung zu.

43 EGMR 21.2.1990, Van der Leer A 170-A § 42 (insgesamt 15 000 hfl für immateriellen und materiellen Schaden sowie Anwaltskosten, die allein in Höhe von 30 997,55 hfl beantragt worden waren).

44 EGMR 24.11.1986, Unterpertinger A 110.

45 Ein mögliches Beispiel ist EGMR 27.9.1990, Wassink A 185-A § 41 (fehlende Hinzuziehung eines Mitarbeiters der Geschäftsstelle bei zulässiger telefonischer Vernehmung von Zeugen durch den entscheidenden Richter); siehe Dannemann S. 187f.

46 Dazu ausführlich Dannemann S. 159-169.

47 Verfahrensdauer: EGMR 9.6.1988, H v. United Kingdom (Art. 50) A 136-B S. 17 § 13; 9.6.1988, W v. United Kingdom (Art. 50) A 136-C S. 25 § 12; unzureichende Gelegenheit zur Verteidigung: EGMR 9.4.1984, Goddi A 76 S. 13f. § 35; Befragung von Belastungszeugen: 19.12.1990, Delta A 191-A § 43; Vernehmung von Entlastungszeugen abgelehnt: 28.10.1992, Vidal (Art. 50) A 235-E S. 95 § 9; Rechtsmittelgarantie: 22.5.1984, de Jong, Baljet and van den Brink A 77 S. 29 § 65; 22.5.1984, van der Sluijs, Zuiderveld and Klappe A 78 S. 21 § 52; Duinhof and Duijf A 79 S. 19 § 44; 9.6.1988, O v. United Kingdom (Art. 50) A 136-A S. 9 § 12; 9.6.1988, B v. United Kingdom (Art. 50) A 136-D S. 33 § 10 (zugleich Verfahrensdauer); 9.6.1988, R v. United Kingdom (Art. 50) A 136-E S. 42 § 12; 5.10.1988, Weeks (Art. 50) A 145-A S. 9 § 13; 16.12.1992, de Geouffre de la Pradelle A 253-B § 39; Unparteilichkeit: 2.6.1986, Bönisch (Art. 50) A 103-A S. 8 § 11; Ladung zum Termin: 12.2.1985, Colozza A 89 S. 17 § 38.

48 Nachweise der bis Juni 1993 ablehnend entschiedenen 45 vergleichbaren Fällen bei Dannemann S. 267.

49 Dazu Dannemann S. 268ff.

50 EGMR 2.6.1986, Bönisch (Art. 50) A 103-A S, 8 § 11; ähnlich 5.10.1988,Weeks (Art. 50) A 145-A S. 9 § 13.

51 Z.B. EGMR 28.8.1991, F.C.B. v. Italy, A 208-B S. 22 § 38; 25.9.1992, Pham Hoang A 243 S. 24 § 44.

52 Z.B. EGMR 2.6.1986, Bönisch (Art. 50) A 103-A S, 8 § 11; EGMR 9.6.1988, H v. United Kingdom (Art. 50) A 136-B S. 17 § 13; ähnlich 9.6.1988,O v. United Kingdom (Art. 50) A 136-A S. 9 § 12; 9.6.1988, W v. United Kingdom (Art. 50) A 136-C S. 25 § 12; 9.6.1988, B v. United Kingdom (Art. 50) A 136-D S. 33 § 10; 9.6.1988, R v. United Kingdom (Art. 50) A 136-E S. 42 § 12; 5.10.1988, Weeks (Art. 50) A 145-A S. 9 § 13.

53 EGMR 7.7.1989, Bricmont A 158 S. 33 § 97; ähnlich z.B. 28.6.1990,Skärby A 180-B § 35; 21.2.1990, Håkansson and Sturesson A 171-A § 72; 27.8.1991, Philis A 209 S. 25 § 71; 19.2.1998, Higgins and others, Rep. 1998-I 44, S. 62 § 48

54 Rechtsvergleichend: Stoll, Consequences of Liability, Int. Encycl. of Comp. Law Vol. XI 8-34; Belgien: z.B. Cass. 19.1.1984, Pas. I S. 548 (Arzthaftung); England: Chaplin v. Hicks [1911] 2 K.B. 786 (C.A.), 791; Kitchen v. Royal Air Force Association [1958] 1 W.L.R. 563 (C.A.), 575: Unterhaltsanspruch der Ehefrau des durch einen Haushaltsunfall getöteten Mannes; Verlust des Anspruchs durch Anwaltsverschulden (Verjährung); Markesinis and Deakin, Tort Law 3 (1994) S. 171-174; Frankreich: Cour d’Appel de Paris 16.5.1963 D. 1963, 692 (unterlassene Einwendung der “inconduite notoire” gegen Vaterschaftsklage), bestätigt von Cass. civ. 1 16.3.1965 D. 1965, 425 m. Anm. L. Crémieu; Cass. civ. 1 18.11.1975, D. 1976, I.R. 38 (Verjährung); Cour d’Appel de Paris 29.9.1981, G.P. 1982 I 124, 125 m. Anm. Y. Avril (unterlassene Mängeleinrede); Viney, Les obligations. La responsabilité: conditions. Band IV des Traité de droit civil, hrsg. von Jacques Ghestin (1982), Nrn. 278-281; Irland: Hawkins v. Rogers [1951] I.R. 48 (High Ct.); Luxemburg: Cour de Cassation (civile), 10.3.1988, Pasicrisie Luxembourgeoise 1988, 217; Niederlande: HR 13.12.1981 NJ 1981, Nr. 456, S. 1517ff; Schadevergoeding (oben N. Fußnote:Schadevergoeding) Art. 96 Nr. 135 (Hartlief/Tjittes/Deurvorst).

55 BGH 23.9.1982, NJW 1983, 442, 444 (rechtswidriger Ausschluß vom Wettbewerb: Haftung abgelehnt mangels vollem Nachweis auf Gewinn des Wettbewerbs bei ordnungsgemäßer Zulassung; dazu kritisch Stoll, Grundzüge der Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht (1993), Nr. 32. Anders OLG Köln 14.1.1982, BauR 1982, 396, 397. Allerdings werden im deutschen Recht fehlerhafte Verfahren ansonsten weitgehend wiederholt und in den haftungsrechtlich vergleichbaren Fällen von Rechtsmittel- oder Einwendungsverlust durch Anwaltsverschulden der Regreßprozeß mit identischer Beweislastverteilung wie im Ausgangsprozeß durchgeführt wird: BGH 23.2.1959, NJW 1959, 1125; Lange (oben N. ) S. 152; ähnlich in Italien: Cass. 13.12.1969 Nr. 3958, Giust. civ. 1970 I 404.

56 Le Tourneau La responsabilité civile 3 (1982) Nr. 516; Stoll, Haftungsfolgen (oben N. ), Nr. 32; vgl. Cour de Cassation (civile), 10.3.1988, Pasicrisie Luxembourgeoise 1988, 217, 219f; Chaplin v. Hicks [1911] 2 K.B. 786 (C.A.), 791, 798 (Farwell, L.J.); Kitchen v. Royal Air Force Association [1958] 1 W.L.R. 563 (C.A.), 575 (Lord Evershed M.R.).

57 Das hat allerdings den Gerichtshof in EGMR 4.12.1995, Bellet A 333-B S. 43 § 43 nicht daran gehindert, fast den gesamten mit dem Verfahrensausgang verbundenen Schaden als “loss of opportunities and undeniable non-pecuniary damage” zu ersetzen. Der Fall betraft den gesetzlichen Ausschluß einer Haftungsklage nach Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Opfer HIV-kontaminierter Bluttransfusionen.

58 Davies v. Taylor [1972] 3 All E.R. 836 (H.L.), 838 (Lord Reid); Cass. civ. 1 11.5.1964, J.C.P. 1964 II 13708.

59 EGMR 24.11.1986, Unterpertinger A 110 S. 16 § 35 (voller Ersatz bei sehr hoher Chance); 19.12.1989, Kamasinski A 168 § 113 (kein Ersatz bei sehr geringer Chance).

60 Ogus, The law of damages (1973) S. 80; J. White, Irish Law of Damages for Personal Injuries and Death. Vol. 1, Law and Practice (1989) S. 23; Le Tourneau (oben N.) Nrn. 515-517.

61 EGMR 18.12.1984, Sporrong and Lönnroth (Art. 50) A 88 S. 13f §§ 25-32 (entgangener Gewinn durch überlange Enteignungsgenehmigungen); 28.10.1987, Inze A 126 S. 21 § 50 (Hoferbfolge nach österreichischem Recht); dazu Dannemann S. 284ff.

62 Cass. crim. 6.6.1990 D. 1990 I.R. 209.

63 Z.B. EGMR 19.4.1994, Van de Hurk A 288 S. 20 § 64. Dort genügte eine gerichtliche Entscheidung zu Milchquoten nicht der von Art. 6 Abs. 1 EMRK geforderten Unabhängigkeit, weil die Verwaltungsbehörde das Recht hatte, derartige Entscheidungen aufzuheben, ohne jedoch in der Vergangenheit je von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht zu haben. Auf diesen Umstand ging der Gerichtshof in der Schadensfrage aber nicht ein.

64 EGMR 7.7.1989, Bricmont, A 158 S. 33 § 97 (dazu Dannemann S. 269; 28.6.1990, Skärby A 180-B § 35; 28.8.1991, F.C.B. v. Italy, A 208-B S. 22 § 38; 25.9.1992, Pham Hoang A 243 S. 24 § 44.

© 1999 Mohr Siebeck Verlag. Reproduced with kind permission. Summary © 2001 Gerhard Dannemann. This HTML edition © 2001 University of Oxford.
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